VSM-Jahresrückblick 2015

Mittwoch, 13. Januar 2016 - 14:15

Ein Jahr der uneinheitlichen Entwicklungen

(veröffentlicht in Schiff + Hafen 1/2016)

Aus Sicht des Verbands für Schiffbau und Meerestechnik e. V. (VSM) hat sich das Jahr 2015 uneinheitlich entwickelt. Während der Weltschiffbau unter der schwachen Nachfrage auf den Frachtschiffmärkten und v. a. im Offshore-Bereich leidet, steigt das Auftragsbuch im deutschen Schiffbau dank gesunder Nischen.

Milde ausgedrückt kann 2015 für Schiffbau & Meerestechnik als ein Jahr der uneinheitlichen Entwicklungen bezeichnet werden. Beeindruckende Erfolge in Deutschland zeugen von unserer Leistungsfähigkeit. Gleichzeitig lässt die schaurige Weltmarktlage aber auch viele heimische Marktteilnehmer nicht unberührt. Die Extreme bilden die Rekordergebnisse im Kreuzfahrtgeschäft auf der einen Seite und die nahezu stillstehende Investitionstätigkeit im Offshore Öl & Gas Geschäft auf der anderen.

Die VSM-Statistik für das volle Jahr 2015 wird wohl erneut deutliche Zuwächse im Auftragseingang ausweisen. Die Auftragsbestände wachsen das fünfte Jahr in Folge. Diese basieren hauptsächlich auf wenigen gesunden Nischenmärkten, in denen es deutschen Unternehmen gelungen ist, weltweite Spitzenstellungen einzunehmen. Dies gilt nicht nur für die Systemintegratoren und gesamtverantwortlichen Werften sondern in gleicher Weise für die Vielzahl an hochspezialisierten Firmen in der gesamten Wertschöpfungskette. Dabei ist der Umfang, den diese Wertschöpfungskette inzwischen angenommen hat, statistisch bisher kaum angemessen erfasst. Geradezu hanseatisch bescheiden muten die veröffentlichten Beschäftigtenzahlen an: Der VDMA spricht von etwa 67.000 Mitarbeiter der Schiffbau- und Offshore-Zulieferindustrie in Deutschland; das Statistische Bundesamt ermittelt knapp 18.000 Beschäftigte bei den Werften. Nach einer VSM-Schätzung auf der Basis diverser Studien für unterschiedliche Auftraggeber könnten die tatsächlichen Beschäftigungseffekte von Schiffbau & Meerestechnik in Deutschland durchaus eine Größenordnung von einer Viertelmillion Arbeitsplätzen annehmen.

Auswirkung des gefallenen Ölpreises

Die Leistung der deutschen maritimen Industrie kann kaum hoch genug geschätzt werden, insbesondere, wenn man das globale Marktumfeld betrachtet. Der Absturz des Ölpreises von der Marke um 110$/Barrel auf unter 40$/Barrel hat auch die maritimen Welt durchgeschüttelt. Für viele Reedereien waren die deutlich geringeren Kraftstoffkosten überlebenswichtig. Für Unternehmen, in der Wertschöpfungskette der Öl & Gas Industrie – im Offshore Bereich sind das Unternehmen aus Schiffbau & Meerestechnik –ist dieser Preisverfall aber eine Katastrophe. Wer in diesem Markt aggressiv auf Marktanteile aus war und sich dabei auf hohe technische Risiken und geringe Anzahlungen eingelassen hat, zahlt nun einen hohen Preis. Das Ergebnis lässt sich vor allem in Korea und China beobachten. Die Milliardenverluste setzen sich weiter fort. Zahlreiche fertiggebaute Plattform-Supply-Vessels liegen bei asiatischen Werften fest, weil sich die Kunden unter Aufgabe der Anzahlung vom Bauvertrag zurückgezogen haben. Noch schlimmer kommt es für Bauwerften, die wegen technischer Probleme in Verzug geraten sind und deren Kunde das Rücktrittsrecht ausgeübt hat. Neben massiver Überschreitung der Baukosten liegen darin die wesentlichen Ursachen für die zweistelligen Milliardenverluste z.B. der koreanischen Großwerften. Und die sind noch nicht zu Ende gezählt. Allein die drei Großen – Hyundai, Daewoo und Samsung – verfügen laut Presseberichten noch über ein Offshore Auftragsbuch in Höhe von. 66 Mrd.$. Die staatlichen koreanischen Finanzinstitute stehen bereits mit 26 Mrd. $ im Obligo. In China ist die Lage unübersichtlicher. Angeblich ist nur noch etwa die Hälfte der ehemals 3.000 Werften aktiv. Und der Konsolidierungsprozess schreitet weiter voran. Einige Marktbeobachter erwarten, dass am Ende nur 30 Unternehmen überleben werden.

Kurzfristig keine Marktbelebung

Der kurzfristige Ausblick verspricht wenig Ermutigendes. Neben dem schwachen Offshore Markt bieten auch die Frachtmärkte kurzfristig kaum Auswege. Das stockende globale Wachstum insbesondere der Schwellenländer und die angespannte sicherheitspolitische Großwetterlage dämpfen die Investitionslaune in der Schifffahrt – zumal die meisten Märkte ohnehin von großen Überkapazitäten geprägt sind und die Frachtraten teilweise historische Tiefststände erreicht haben. Das wahre Ausmaß der Nachfrageschwäche nach Neubauten dürfte dabei wohl erst 2016 deutlich werden. Es ist davon auszugehen, dass die Statistiken für 2015 eine Reihe von vorgezogenen Bestellungen zur Vermeidung höherer Baukosten aufgrund der ab dem 1.1.2016 in Kraft tretenden technischen Vorschriften zur Reduzierung der Stickoxydemissionen (sog. Tier III) enthalten.

Impulse für eine Marktbelebung könnten noch eine Weile auf sich warten lassen. Weder ein schneller Anstieg des Ölpreises noch eine kurzfristige Reduktion der Überkapazitäten erscheinen aus heutiger Sicht sonderlich realistisch. Aber diesen Preisverfall beim Öl hatte ja auch niemand erwartet

Maritime Industrie in Deutschland muss Kräfte bündeln

Vor diesem Hintergrund ist es wichtiger denn je, dass die sich maritime Industrie in Deutschland zusammenrauft, Kräfte bündelt und sich gut für die Zukunft aufstellt. Eine Exportquote von deutlich über 90% bei Seeschiffen aus deutscher Produktion zeigt, wie stark die Zusammenarbeit zwischen inländischen Bestellern und Anbietern abgenommen hat – für den maritimen Standort Deutschland ist das ein besorgniserregender Umstand.

Die heimische herstellende Industrie kooperiert dagegen sehr intensiv untereinander. Im deutschen Schiffbau finden nur rund 30% der Einkäufe im Ausland statt und diese ganz überwiegend bei unseren europäischen Nachbarn. Trotzdem besteht weiterhin Bedarf, das Selbstverständnis von Schiffbau & Meerestechnik als eine Branche zu verstärken; denn die vielen sehr unterschiedlichen Marktsegmente und die besonders komplexen Wertschöpfungsketten erschweren bisweilen einen geschlossenen Branchenauftritt.

Die chemische Industrie mit so unterschiedlichen Segmenten wie Pharma, Farben oder Agrochemie macht es seit Jahren erfolgreich vor. Mit gemeinsamen Apellen von VSM, VDR, ZDS u.a. haben wir im zurückliegenden Jahr wichtige Schritte in diese Richtung unternommen. Gemeinsam wollen wir diesen Ansatz weiterentwickeln; denn nur gemeinsam können wir die Republik über die Bedeutung der maritimen Wirtschaft aufklären und so die Voraussetzungen schaffen, um den maritimen Standort Deutschland wettbewerbsfähig zu halten.

Aktivitäten des VSM

Der VSM weiß dabei um seine Verantwortung, eine starke Verbandsgemeinschaft zu befördern. Unser Angebot richtet sich daher an die gesamte Wertschöpfungskette in Schiffbau & Meerestechnik, von den Hochschulen und verschiedensten Dienstleistern, über die Material-, Ausrüstungs- und Systemanbieter, den Systemintegratoren bis zur Wartung, Instandsetzung und Nachrüstung. Mit 18 aktiven Fachgemeinschaften, Ausschüssen und Arbeitskreisen finden sich zu allen fachlichen Themen der Branche, von der Ausbildung bis zur Zertifizierung, spezialisierte Gremien unter dem Dach des VSM. Die aktive Zusammenarbeit innerhalb der Branche hat im zurückliegenden Jahr 20 neue Mitgliedsunternehmen zu einem Beitritt bewegt. Mit dem Deutschen Boots- und Schiffbauerverband ist darunter auch erstmals ein eigenständiger Verband mit über 400 Mitgliedern beigetreten, insbesondere, um durch den Schulterschluss mehr Gehör in Berlin zu finden. Das Sportbootsegment ergänzt und befruchtet die maritime Industrie in vielerlei Hinsicht, nicht zuletzt durch das Ermöglichen eines intensiven Erlebens der „Faszination Meer“.  

Sehr erfreulich hat sich auch die German Maritime Export Initiative GeMaX entwickelt. Nach einer ersten Orientierungsphase im 2. Halbjahr 2014 haben wir uns für die Periode 2015-2016 dem strukturierten Ausbau der Initiative gewidmet und sind dabei ein gutes Stück vorangekommen. Eine Reihe von Referenzprojekten befindet sich in der Bearbeitung, wodurch sich die methodische Herangehensweise von GeMaX weiterentwickelt. Die Anzahl der mitwirkenden Unternehmen hat sich inzwischen verdoppelt, was den weiteren Ausbau deutlich beschleunigen wird. 2016 wird die Außendarstellung deutlich intensiver erfolgen und so GeMaX als Markenzeichen für eine aktive Exportunterstützung in den Auslandsmärkten etablieren. 

Gerade unter den schwierigen internationalen Rahmenbedingungen müssen alle Marktchancen noch intensiver verfolgt werden. Staatliche Marktinterventionen haben wieder überall Hochkonjunktur und verhindern nicht nur eine Marktbereinigung zum Nachteil der solide agierenden deutschen Marktakteure, sondern werden auch noch mehr Nachdruck für „local content“ Forderungen erzeugen. Hersteller, die allein mit den Vorzügen ihres Produktes argumentieren, ziehen zunehmend den Kürzeren.

Auch für die deutsche Politik müssen solche Entwicklungen Auswirkungen haben. Es sind nicht nur Marktkräfte am Werk. Wer das ignoriert, muss sich nicht wundern, wenn der Westen immer mehr gegenüber Asien verliert.

Der VSM bewertet es als positive Entwicklung, dass die 9. Nationale Maritime Konferenz deutlich mehr als in vergangenen Jahren den internationalen Rahmen der Industrie adressiert hat. Besonders bemerkenswert war dabei das große Lob der ausländischen Partner und Kunden für die Unternehmen am Standort Deutschland. Auch viele Punkte auf der politischen Agenda sind in Bremerhaven ein gutes Stück vorangekommen. Für Schiffbau & Meerestechnik waren dies:

  • Anhebung des BMWi-Innovationsförderprogramms im Schiffbau von 15 auf 25 Mio. €
  • Änderung der Kofinanzierung: Künftig tragen die Länder nur noch ein Drittel des Förderbetrags statt wie bisher 50%
  • Fortsetzung und Erhöhung der F&E Förderung
  • Unterstützung für den Vorschlag zum Aufbau eines Zentrums für die Forschungskooperation in der maritimen Wirtschaft 
  • Unterzeichnung bilateraler Memoranden der Zusammenarbeit im Tiefseebergbau mit Frankreich
  • Beauftragung einer Machbarkeitsstudie als Voraussetzung für den Pilot-Mining-Test im Tiefseebergbau
  • Einleitung eines ressortübergreifenden Dialogs zur Umsetzung und Weiterentwicklung der Strategie der Bundesregierung zur Stärkung der Verteidigungsindustrie in Deutschland, einschließlich regelmäßiger Überprüfung des Begriffs „Schlüsseltechnologie“

Vor allem aber die Ankündigung, das Bundeskabinett werde Anfang 2016 eine Maritime Agenda 2025 vorlegen, stimmt hoffnungsvoll. Das in Bremerhaven veröffentliche Eckpunktepapier benötigt sicher noch an der einen oder anderen Stelle etwas Feinschliff. Aber es nährt schon jetzt die Erwartung, dass ein solides politisches Fundament für eine kohärente und ambitionierte Politik zur Stärkung des maritimen Wirtschaftsstandort Deutschland geschaffen wird. Spätestens dann sollte sich wohl auch die Industrie auf ihre eigene Maritime Agenda 2025 verständigt haben.