Schiffbau & Meerestechnik in Deutschland - aktuelle Lage

Montag, 18. Mai 2020 - 16:15

 

Schiffbau ist seit jeher ein Seismograf für langfristige Entwicklungslinien im Welthandel. 95% des globalen Güteraustauschs wird per Schiff abgewickelt. Neue Schiffe werden bestellt, wenn der Markt positive Entwicklungen erwartet. SARS-CoV-2 führt nicht nur zu kurzfristigen Verwerfungen, sondern auch zu erheblichen Unsicherheiten für die mittelfristige Entwicklung. Die stark zunehmende Verschuldung des öffentlichen und des privaten Sektors werden hohe Konsumausfälle nach sich ziehen. Bereits bestehende Tendenzen, die den globalen Güteraustausch behindern, werden verstärkt. Globale Systemkonflikte, insbesondere zwischen China und den USA, erhalten zusätzlichen Zündstoff.

Langfristiger Nachfrageeinbruch zu erwarten

Investitionsentscheidungen in langlebige Wirtschaftsgüter wie Schiffe werden in diesem Umfeld häufig zurückgestellt. Für die Schiffbauindustrie ist deshalb weltweit und länger anhaltend mit sehr geringer Nachfrage zu rechnen. Vor dem Hintergrund der schon seit 2016 schwachen Weltschiffbaukonjunktur – in den vergangenen vier Jahren unterschritten Neubauaufträge die Produktion in der Summe um mehr als 40% – wird dieser Nachfrageausfall die bereits bestehende Unterauslastung der globalen Schiffbaukapazität erheblich ausweiten. Stornierungen bereits platzierter Aufträge könnten die Situation zusätzlich erschweren. Schon heute sind verschärfte Dumpingpraktiken und aufflammende Subventionswettläufe festzustellen.

Bislang konnten sich der deutsche wie auch der europäische Schiffbau durch die erfolgreiche Konzentration auf High-Tech-Segmente von der schwachen Weltkonjunktur im Schiffbau abkoppeln. Rein rechnerisch reichte das europäische Vor-Corona-Auftragsbuch für eine Auslastung für mehr als 4 Jahre, also deutlich länger als in anderen Schiffbauländern wie China, Korea oder Japan mit rund 2 Jahren. Die größere Auftragsreichweite darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass das europäische Orderbuch akut gefährdeter ist und komplexe Projekte längere Vorlaufzeiten und Entwicklungsphasen benötigen. Denn innerhalb der hiesigen Produktpallette liegen durchschnittlich mehr als 3,5 Jahre zwischen Bauvertrag und Ablieferung und in insbesondere bei Fahrgastschiffen und Yachten erfordert die Vertragsanbahnung häufig denselben Zeitraum.

Alle Segmente betroffen

Das erfolgreichste Marktsegment, Kreuzfahrtschiffe, wurde bislang ganz überwiegend (95%) in Europa bestellt. Doch dieser Schiffstyp ist von den Folgen der Pandemie weitaus am stärksten betroffen. Während Frachtschiffe geringere Ladungsvolumen beklagen, ist das operative Geschäft in der Kreuzschifffahrt vollständig zum Erliegen gekommen. Deshalb ist zu erwarten, dass neue Bestellungen in diesem Segment für einige Jahre vollständig ausbleiben.

Aus Sicht des VSM ist es jedoch wichtig, die Krise im Schiffbau nicht auf die Kreuzfahrtbranche allein zu verkürzen. Selbst der Bereich der öffentlichen Auftraggeber (Marine- und Behördenschiffe) ist nicht ausgenommen, weil die im Zuge der Krisenbewältigung zunehmende Staatsausverschuldung die Investitionskapazität weltweit einschränken wird und insbesondere die Exportnachfrage davon betroffen sein dürften.

Deshalb muss bei Überlegungen zur Krisenabwehr in der Schiffbauindustrie die Branche insgesamt betrachtet werden. Besonders hohe Beschäftigungseffekte werden in der komplexen Wertschöpfungskette erzielt, die im Schiffbau einen besonders hohen inländischen Anteil aufweist. In Deutschland sind rund 2.800 Unternehmen und rd. 200.000 Beschäftigte in Schiffbau und Meerestechnik aktiv. Gemeinsam realisieren sie bei Ablieferungen deutscher Werften eine inländische Wertschöpfung von ca. 85%.

Für die Zulieferindustrie kommt der größte Teil der Nachfrage neben inländischen Kunden vor allem aus Europa. Die exportorientierten maritimen Maschinen- und Anlagenbauer erwirtschaften mit Werften in Asien insgesamt etwa ein Viertel des Umsatzes. 

Forderung: zeitlich begrenztes Flottenprogramm

Bleiben, wie derzeit erwartet werden muss, Aufträge in den kommenden zwei bis drei Jahren auf breiter Front aus, wird in vielen Betrieben die Arbeit ausgehen. Der VSM setzt sich deshalb gemeinsam mit den Kollegen in ganz Europa für ein zeitlich begrenztes Flottenprogramm ein, das sowohl auf öffentliche Aufträge (z.B. Küstenwache, Polizei, Feuerwehr, Forschungsschiffe, ÖPNV etc.) als auch auf Anreize für die umweltfreundliche Erneuerung der Handelsflotte setzt. Ziel ist, einen Teil des erwarteten Nachfrageausfalls zu kompensieren, sodass ein unkontrollierter Flurschaden in dieser Industrie verhindert werden kann.

Der Industrie muss es nun gelingen, die Kostenbasis deutlich zu senken und gleichzeitig die Technologieführerschaft aufrecht und einen hohen Anteil der Fachkräfte an Bord zu halten. Deshalb dürfen die F&E-Anstrengungen nicht vernachlässigt und die Ziele des maritimen Klima- und Umweltschutzes auch in der Krise nicht aus den Augen verloren werden. Ein kluges Flottenprogramm kann entscheidend dabei unterstützen, die Technik von morgen schon vorzeitig in Fahrt zu bringen.

Zusätzlich muss es endlich gelingen, effektive Instrumente gegen Wettbewerbsverzerrungen im Schiffbau einzuführen, damit bei einem Wiederanspringen des Marktes eine wettbewerbsfähige Schiffbauindustrie dauerhaft zu Wohlstand und einer sauberen maritimen Wirtschaft beitragen kann.

Der Verband für Schiffbau und Meerestechnik e. V. ist die politische und wirtschaftliche Interessenvertretung der deutschen maritimen Industrie mit komplexen Wertschöpfungsketten in diversen maritimen Marktsegmenten. Den aktuellen VSM-Jahresbericht finden Sie unter  http://vsm.de/de/jahresberichte/8311