VSM-Jahresbericht 2023 | 2024
Die Ursprünge des VSM gehen auf das Jahr 1884 zurück, als der Verband Deutscher Werften gegründet wurde. Auch runde Geburtstage finden weniger Beachtung, wenn man 140 Jahre alt wird. Das Jubiläumsjahr 2024 ist für den VSM jedoch aus einem anderen Grund dennoch von großer Bedeutung: 1974, also vor 50 Jahren nahm der vormalige Werftenverband erstmals Zulieferunternehmen auf und firmiert seitdem als Interessensvertretung der gesamten Schiffbauindustrie.
Schiffe gehören zu den komplexesten Produkten, die von Menschenhand hergestellt werden. Dabei spielt die Werft als Gesamtverantwortliche für das Bauvorhaben offensichtlich eine zentrale Rolle: Auf der Werft kommen alle Beteiligten zusammen. Dort werden all die verschiedenen Subsysteme zu einem Ganzen integriert. Gerade die in Deutschland vornehmlich gebauten Schiffstypen Kreuzfahrtschiffe, große Yachten, Marine- und Behördenschiffe sind ganze Städte, die nicht nur eine Funktion erfüllen, sondern der Crew und ihren Gästen während der Zeit an Bord auch ein sicheres Zuhause bieten. Ermöglicht werden alle erforderlichen Funktionen entscheidend von vielen hunderten, in der Regel hoch spezialisierten, Zulieferunternehmen. Dazu gehört viel mehr als Brücke, Hauptmotor und Propeller. Von den Deckskrähnen und -winden bis zu den Rettungsmitteln; von der Frischwassererzeugung und Sanitäreinrichtungen bis zur Kläranlage; von den Kühlräumen über die Küchen zum Restaurant, von der Klimaanlage über die Kabine bis zum Theater oder der Krankenstation. Beim Bau eines großen Seeschiffs können weit über tausend Zulieferunternehmen beteiligt sein. Zur Schiffbauindustrie in Deutschland zählen rund 2.800 Unternehmen vom Bodensee bis zur dänischen Grenze. Schiffe „Made in Germany“ tragen dieses Prädikat zu Recht, denn in der Regel erstreckt sich die inländische Wertschöpfungsquote auf weit über 70% und die innereuropäische auf über 95%.
Es ist diese Bereite an Kompetenz, getragen von den vielen Fachkräften, die Deutschlands wichtigster Wettbewerbsvorteil ist. Ohne sie könnten die rund 50 Schiffswerften in Deutschland kein einziges Schiff fertigstellen. Eine ähnliche Abhängigkeit andersherum besteht zunächst nicht. Insbesondere viele der größeren Schiffbauzulieferunternehmen erwirtschaften ihren Umsatz überwiegend im Export. Laut Zahlen des VDMA liegt die Exportquote, zumindest der maritimen Maschinen- und Anlagenbauer, bei über 70%. Aber Wertschöpfungsketten verlagern sich in vielen Branchen analog zur Nachfrage. Bereits heute werden bestimmte maritime Systeme in Europa nicht mehr produziert, z.B. große Zwei-Takt-Motoren. Der Exodus findet dabei anders als bei Werften ohne große öffentliche Aufmerksamkeit statt. Winden von Hatlapa, Bordkrähne von der Neuenfelder Maschinenfabrik oder MaK-Hauptmotoren fahren auf vielen Schiffen auf allen Weltmeeren. Doch die Produktion dieser großartigen Anlagen ist Geschichte.
Die Schiffbauindustrie steht in Europa seit Jahrzehnten unter Druck. Unternehmen mussten für sich Lösungen finden, wie sie mit den verzerrten Wettbewerbsverhältnissen umgehen. Gerade die sehr liberale Grundausrichtung der EU fand bisher keine politischen Gegenmittel. Doch Stichworte wie Economic Security, technische Souveränität oder strategische Autonomie bestimmen seit wenigen Jahren immer öfter den politischen Diskurs. Langsam wird vielen in Berlin, Brüssel und allen anderen Hauptstädten klar, welche Gefahren und Kosten aus Abhängigkeiten resultieren können.
Gerade für Europa mit seinen langen Küstenlinien, dem größten maritimen Binnenmarkt der Welt, gehört die Fähigkeit zum Bau und Betrieb großer Seeschiffe und anderer maritimer Anlagen zur DNA. Die maritime Industrie mit ihren vielfältigen strategischen Aufgaben kann zu Recht erwarten, dass von nun an mehr Wert auf gute Standortbedingungen gelegt wird. Dazu ist eine starke Stimme für die gesamte maritime Industrie wichtiger denn je – Gemeinsam im VSM!