VSM Jahresrückblick 2019

Samstag, 21. Dezember 2019 - 11:15

Schwacher Weltmarkt-gute Auslastung in Deutschland

Aus Sicht der deutschen maritimen Industrie war 2019 ein durchaus bemerkenswertes Jahr. Die ausgeprägt schwache Weltmarktnachfrage, immerhin 40% unter dem auch schon nicht brillanten Vorjahr, macht sich bei vielen deutschen Herstellern bisher kaum bemerkbar. Obwohl vielfältige Unsicherheiten Reeder offenbar veranlassen, in den Volumenmärkten großer frachttragender Schiffe sehr zurückhaltend zu ordern, bleibt die Auslastung der Werften und Zulieferer in Deutschland mehrheitlich recht hoch. Unterschiedliche Marktsegmente im Spezialschiffbau generieren weiterhin eine gesunde Nachfrage. Dies schlägt sich auch auf dem Arbeitsmarkt nieder. Fach- und Nachwuchskräfte für Schiffbau und Meerestechnik werden händeringend gesucht.

Im Gegensatz dazu trifft der schwache Markt bei Standardschiffen v.a. China und Korea hart. Allein in diesen beiden Ländern stehen heute im Vergleich zu 2011 rund 350 000 Menschen weniger auf den Lohnlisten der Werften.

Zu viele Werften rund um den Globus und zu viele Schiffe bedeuten schlechte Preise. Es gibt immer einen, der es noch billiger macht. Darum verdient kaum ein Unternehmen Geld. Doch wo kein Geld verdient wird, kann auch nicht investiert werden, nicht in saubere Schiffe, nicht in Forschung & Entwicklung für nachhaltige Technologien. Der Bumerang der schwindelerregenden Subventionen in Asien trifft so am Ende alle: Werften, Zulieferer, Reeder und die Umwelt.

Deutschen Werften blieb spätestens seit der Lehmann-Krise vor 10 Jahren nichts anderes übrig, als sich dem Verdrängungswettbewerb zu beugen und aus den Volumenmärkten auszusteigen. In den hochkomplexen Nischenmärkten sind die technischen Anforderungen und die damit verbundenen Risiken zwar extrem hoch, aber dafür ist hier Profitabilität zumindest noch möglich. Das gilt für Hersteller wie Betreiber gleichermaßen. Darum kann die Kreuzfahrtindustrie noch mutig voranschreiten und die saubere Schiffahrt der Zukunft vorantreiben. Kein anderes Schiffahrtssegment investiert auch nur annähernd so viel in saubere Technik und deren Weiterentwicklung. Es ist darum wirklich absurd, wie dieses Marktsegment in der öffentlichen Wahrnehmung als Umweltsünder abgestempelt wird. Objektive Fakten statt einseitige Kampagne ist ein Wunsch, der sich nicht nur an Populisten richtet. Das Engagement der vielen Demonstrierenden in allen Ehren – dieser öffentliche Druck übt wichtigen Einfluss auf politisches Handeln aus - aber am Ende brauchen wir vor allem Ingenieure, damit unsere Welt nachhaltiger werden kann. Es gibt nichts Gutes. Außer man tut es. Auch wenn es vielleicht anstrengender ist, aber durch Physik büffeln lässt sich tatsächlich mehr für Umwelt- und Klimaschutz erreichen als durch fortgesetzte Schulstreiks. 

Apropros Konsequenz: Wenn wir in Europa hohe Standards verlangen, wieso eigentlich nur von den inländischen Anbietern? Der gegenwärtige Erfolg der Schiffbauindustrie in den Nischenmärkten könnte schnell vorbei sein, denn er ruft viele Nachahmer auf den Plan. Nach gleichem Muster wie zuvor bereits bei vielen Standardschiffstypen könnten so Preisverfall und Überkapazitäten auch die Nischenmärkte infizieren. Die vielen Fährschiffe für europäische Fahrgebiete, die in den zurückliegenden zwei Jahren in China zu de facto Dumping-Preisen bestellt wurden, geben die Richtung leider schon vor. Die Annahme, China könne Schiffe schlicht deutlich billiger bauen ist ebenso weit verbreitet wie falsch. Wer sich ernsthaft mit dem Thema auseinandersetzt kann nicht leugnen, dass die Baupreise für Fährschiffe in China auch unter den dortigen Bedingungen nicht realistisch sind. Sie liegen im Durchschnitt mindestens 30% unter den Herstellungskosten. Die Differenz übernehmen - über in der Regel undurchsichtige Wege - staatliche Kassen. In Europa ist das zu Recht verboten und die Europäische Kommission achtet akribisch auf die Einhaltung der Beihilferegeln. Von anderen Normen und Standards wie z.B. dem Recht auf freie Gewerkschaften einmal ganz abgesehen

Effektive internationale Handelsregeln im Schiffbau gibt es nicht und wird es auch auf absehbare Zeit nicht geben. Vor wenigen Tagen hat die OECD ihre 2016 gestarteten Bemühungen um eine neues Schiffbauabkommen abgebrochen, weil einige Partner sich schlicht verweigern. Einmal mehr – so geht das seit dem Start der Schiffbauarbeitsgruppe der OECD im Jahr 1966(!). Bei der WTO sieht es im Ergebnis genauso aus.

Eines scheint klar: Solange der Zugang zum europäischen Binnenmarkt nicht in Frage gestellt wird, haben einige der Partner wenig Veranlassung, dem europäischen Drängen nach fairen Wettbewerbsbedinungen nachzukommen. Der VSM meint, wenn man sich international nicht einigen kann, müssen wir zumindest auf Einhaltung unserer eigenen Regeln für alle gleichermaßen bestehen.

Die aktuell insgesamt positiven Wirtschaftsdaten am maritimen Industriestandort Deutschland dürfen über den Handlungsdruck in dieser Sache nicht hinwegtäuschen. Die gute Auftragslage verleiht Gestaltungsspielraum. Aber dieser Spielraum muss jetzt mit Entschlossenheit genutzt werden; denn die Gefahren sind real und akut. Wenn wir noch einmal 10 Jahre zusehen, dann können wir uns das nicht mehr leisten.

Wir haben die Chance, zukunftsweisende Technologien nicht nur zu entwickeln, sondern auch im Markt zu etablieren. Die maritime Wirtschaft steht an der Schwelle großer technologischer Veränderungen. Nachhaltigkeit und Digitalisierung sind die dominierenden Schlagworte. Wir sperren uns nicht gegen strengere Umweltvorschriften. Im Gegenteil, wir freuen uns, wenn wir die dafür entwickelte Technik weiter ausbauen und endlich zu Anwendung bringen können. Klimaneutrale Schifffahrt scheitert nicht an mangelnder Technologie.

Im zweiten Halbjahr 2020 wird Deutschland die EU Ratspräsidentschaft übernehmen und kann dann noch mehr als ohnehin schon europäische Politik gestalten. Gemeinsam können wir viele der zentralen Herausforderungen gezielt anpacken.

Schon die Nationale Maritime Konferenz (NMK) im April 2019 wurde für eine europapolitische Positionierung genutzt. Und auch die Verankerung der Maritimen Industrie als eine von neun hochinnovativen Industriebranchen in der „Nationalen Industriestrategie 2030“ der Bundesregierung sendet ein wichtiges Signal an die europäischen Partner: Die maritime Industrie steht bei der größten Industrienation der EU im Fokus. Darauf aufbauend müssen wir mutig und entschlossen die richtigen Entscheidungen treffen, damit Schiffbau und Meerestechnik in Deutschland noch über Jahrzehnte die maritime Welt ein bisschen besser machen kann.