Wo bleibt das Positive?
VSM-Jahresrückblick 2023
In einem Jahr geprägt von globalen Herausforderungen und Unsicherheiten hat die Deutsche Schiffbauindustrie ihre Zuversicht nicht verloren. Die vielen geopolitischen Konflikte und Umweltproblematiken stellten die Welt vor große Herausforderungen. Doch gerade in der Schiffbauindustrie bleibt der Mut ungebrochen. Ein Blick auf das Jahr 2023 zeigt nicht nur die Schwierigkeiten, sondern auch die positiven Entwicklungen und zukunftsweisenden Projekte.
Hamburg 28.12.2023: Wo bleibt das Positive? Das gleichlautende berühmte Gedicht von Erich Kästner wurde 1930 verfasst. „Ja, weiß der Teufel, wo das bleibt.“ Knapp 100 Jahre später scheint es sich ähnlich anzufühlen. Die vielen geopolitischen Konflikte und Spannungen stürzen die Menschen in vielen Teilen der Welt in große Not. Tagtäglich hören wir die Mahnungen der Wissenschaftler, dass unsere Fortschritte beim Klima- und Umweltschutz nicht ausreichen. Und auch innenpolitisch tun wir uns schwer, den Menschen Orientierung und Zuversicht zu vermitteln. Der Zulauf bei denjenigen, die vorgeben, mit einfachen Lösungen alles besser machen zu können, ist beängstigend.
Zugegeben, das zurückliegende Jahr war nicht einfach, aber der Mut, die vielen anstehenden Aufgaben anzupacken und in Erfolg zu übersetzen ist zumindest in der Schiffbauindustrie ungebrochen. Wir werden unsere Beiträge leisten: die Marine mit leistungsfähigen Schiffen und Booten ausstatten, unseren Kunden effektive und effiziente technische Lösungen für eine klimaneutrale Zukunft anbieten und wichtige Hardware für die Gewinnung regenerativer Energie offshore produzieren. Dafür werden wir investieren und noch mehr Menschen für Schiffbau und Meerestechnik begeistern und ausbilden.
Als Verband sehen wir es als unsere Aufgabe, stets klar und konstruktiv zu benennen, was nötig ist, damit unsere Industrie die Anforderungen der Gesellschaft erfüllen kann. Schlechte Stimmung vertreibt man mit Anpacken, mit Lösungen, mit Ergebnissen.
Positive Entwicklungen in der Schiffbauindustrie
Und es gibt durchaus gute Gründe für Optimismus: Die globalen Neubaubestellungen bleiben das dritte Jahr in Folge auf einem hohen Niveau und sorgen für hohe Auslastung in der deutschen maritimen Zulieferindustrie. Auch Europas Werften verzeichnen wieder vermehrtes Interesse der Kunden und verbuchten bis Ende Oktober laut dem Branchendienstleister Clarksons Research Neubauaufträge i.H.v. 7,1 Mrd. $, ein Anstieg von fast 50% im Vergleich zum gesamten Vorjahr. Kreuzfahrtschiffe, das mit Abstand wichtigste Marktsegment der zivilen Schiffbauindustrie in Europa und in Deutschland, verzeichnen neue Buchungsrekorde und starke Umsätze. Kreuzfahrten als Urlaubsform haben nach Corona nichts von ihrer Attraktivität verloren. Das Interesse an Neubaubestellungen in diesem Markt ist zurück. Die Reedereien wissen, wie wichtig ihre industriellen Partner sind, denn nur der hohen Leistungsfähigkeit und Innovationskraft der Schiffbauindustrie ist es zu verdanken, dass man die Erwartungen der Kreuzfahrttouristen immer wieder mit neuen, faszinierenden Angeboten übertreffen kann. Gerade im Bereich der Nachhaltigkeit liefert die Industrie zukunftsfähige Lösungen. Die Ingenieure sind die wahren Aktivisten – konstruieren statt kleben, könnte man sagen.
Zu den positiven Entwicklungen in den, die Clarksons-Statistiken dominierenden Handelsschiffen haben deutsche Werften zwar nicht nennenswert beigetragen; dennoch ist die Auslastung auch bei vielen hiesigen Schiffbauern aktuell durchaus hoch. Die Erfolge bei diversen anspruchsvollen Aufträgen für öffentliche Auftraggeber aus dem In- und Ausland haben dazu spürbar beigetragen. Auch Reparaturwerften waren gut gebucht und berichten über zufriedenstellende Ergebnisse.
Erfolge in der Offshore-Windenergie
Erfreulich zudem die Nachricht, dass der Ausbau der erneuerbaren Energieerzeugung offshore für die deutsche Schiffbauindustrie zu einem gewichtigen zusätzlichen Standbein wird. Die Botschaft wurde nicht nur als Absichtserklärung auf der Nationalen Maritimen Konferenz (NMK) vernommen, sondern hat sich inzwischen auch in ersten konkreten Bauverträgen manifestiert. Die gewaltigen Ausbaupläne, gepaart mit der Erkenntnis, dass diese durch verlässliche, sichere Partner innerhalb der EU angepackt werden müssen, schürt entsprechende Erwartungen. Die deutsche Schiffbauindustrie hat das zurückliegende Jahr intensiv genutzt, um an mehreren Standorten dezidierte Produktionskonzepte für den Bau großer Konverterplattformen auszuarbeiten und mit entsprechenden Investitionsplänen zu hinterlegen. Sowohl Industrie als auch Politik sind 2023 in diesem Bereich wichtige Schritte gegangen. Wesentliche Punkte unseres Ende 2022 an Bundesminister Habeck übergebenen VSM-Papiers „Schiffbau für Offshore Windenergie“ werden umgesetzt. Allerdings liegen auch noch viele Hausarbeiten an, vor allem mit Blick auf die für den Offshore-Ausbau benötigten Schiffe. Bei einigen der benötigten Spezialsschiffe zeichnen sich gravierende Kapazitätsengpässe ab, was die Umsetzung der Ausbaupläne im vorgesehenen Zeitplan in Frage stellt.
Herausforderungen in der maritimen Politik
Auch bei einem anderen zentralen Anliegen des VSM müssen wir noch die ein oder andere Schippe drauflegen, damit endlich Fortschritte sichtbar werden. So ist eine vermehrte Produktion von Schiffen für innereuropäische Verkehre auch 2023 noch nicht erkennbar. Zwar ist das Bewusstsein für das Risiko von strategischen Anhängigkeiten heute in Berlin und Brüssel sehr präsent, dass diese Abhängigkeiten jedoch auch für die maritime Dimension bevorstehen und welche Konsequenzen damit verbunden sind, ist bisher nicht ausreichend durchgedrungen.
Insgesamt waren die Klagen maritimer Akteure, mit ihren Anliegen nicht ausreichend Gehör zu finden, 2023 an vielen Stellen zu vernehmen. Die vielbeschworene Sea-Blindness, die breite Ignoranz gegenüber der enormen Bedeutung der maritimen Dimension zieht sich wie ein roter Faden durch das ganz Jahr. Dass auch die NMK, sicherlich eines der Highlights des Jahres, daran wenig geändert hat, unterstreicht diese Aussage. Besonders bitter bleibt dabei die Begründung für das Fehlen des Bundesverkehrsministers in Erinnerung: er sei nicht abkömmlich, da er einen Bauabschnitt von Stuttgart 21 einzuweihen habe. Leider wird auch die Rede des Bundeskanzlers kaum wegen inhaltlicher Höhepunkte im Gedächtnis bleiben, sondern eher wegen des stoischen Vortrags, der sich auch von der ohrenbetäubenden Geräuschkulisse des bundesweiten Warntags nicht beeindrucken ließ. Auf der Haben-Seite der NMK-Bilanz waren die ermutigenden Botschaften des Wirtschaftsministers, insbesondere in Bezug auf den bereits erwähnten Konverterplattformbau sowie wertvolle Beiträge zur Marine und dem Marineschiffbau. Bei den Highlights darf auch der Beitrag von Frau Dr. Kirchberger, Direktorin des Institutes für Sicherheitspolitik, Kiel, nicht unerwähnt bleiben. Gewohnt kompetent, sachlich und auf den Punkt wies Sie auf die brenzlichen Entwicklungen im südchinesischen Meer hin. Eindrücklich schilderte sie wie die in westlichen Medien oftmals unzureichend beleuchtete Zusammenarbeit zwischen Xi und Putin eine veritable Eskalationsgefahr darstellt und mahnte konsequentes Handeln und Auftreten an. Man kann nur hoffen, dass die Anwesenden gut zugehört haben.
In der Gesamtschau der NMK muss man allerdings feststellen, dass vor allem das vollständige Fehlen jedweder belastbaren Zusagen diese Konferenz geprägt hat. Insofern ist es wenig verwunderlich, dass die NMK kaum auf Medienresonanz gestoßen ist. Ein informatives Programm und eine großartige Gelegenheit zum Networken allein wird dem Anspruch an eine NMK nicht gerecht. Im Zentrum steht die Erwartung, dass Politik und Wirtschaft zusammen bei der Gestaltung zielführender Rahmenbedingungen für einen starken maritimen Standort Deutschland Fortschritte erzielen. Das hebt die NMK von allen anderen Veranstaltungsformaten ab – eigentlich.
An dieser Stelle sollte die maritime Gemeinde jedoch auch einmal innehalten und das eigene Tun selbstkritisch hinterfragen. Die maritimen Interessen sind vielfältig. Dennoch sollte es möglich sein, eine homogene, schlagkräftige Interessensvertretung zu organisieren. Andere Branchen wie die Chemie, die Flugzeug- oder die Elektroindustrie, sind durch konsolidierte Verbandsstrukturen oft erfolgreicher im Wettbewerb um politische Aufmerksamkeit. Für die maritime Wirtschaft tritt ein vielstimmiger Chor mit teils sehr kleinteiligen, oftmals auch widersprüchlichen Forderungen an. Die maritime Wirtschaft steht in all seinen Teilsegmenten unter hohem Wettbewerbsdruck. Langfristig wird es nur gemeinsam gelingen, einen starken maritimen Wirtschaftsstandort Deutschland zu gewährleisten. Um diese Zusammenarbeit besser zu organisieren, stehen vor allem wir Verbände in der Verantwortung. Dennoch appelliere ich auch an die Unternehmen, sich für eine gemeinsame Interessensvertretung stark zu machen. Am Ende bestimmen die Unternehmen durch ihre Mitgliedsbeiträge den Kurs.
VSM-Intern: Erfolge, Herausforderungen und Ausblick
Im VSM bemühen wir uns seit Jahren um eine Konsolidierung in der Verbändelandschaft. Wir haben inzwischen fünf eigenständige Verbandsstrukturen im VSM integriert. Darüber hinaus haben wir bei unterschiedlichen Themen auch verbandsoffene Arbeitsstrukturen implementiert und damit sehr gute Erfahrungen sammeln können. Im Vordergrund stehen die inhaltlichen Ziele. Verbände sind kein Selbstzweck. Sie dienen den Interessen der Mitglieder, nicht der Selbstdarstellung Einzelner.
Bei der internen Verbandsentwicklung blickt das VSM-Team auf ein sehr anstrengendes, aber erfolgreiches Jahr zurück. Trotz einiger Engpässe personeller Art ist es der VSM-Crew großartig gelungen, alle Verbandsaktivitäten ohne Einschränkungen am Laufen zu halten. Die neuen Kollegen, die uns seit der zweiten Jahreshälfte verstärken, haben sich schon sehr gut eingearbeitet und wir hoffen, auch im nächsten Jahr gute Lösungen für bestehende Vakanzen zu finden, damit wir unsere Mitglieder weiterhin optimal unterstützen können. Besonders freut uns, dass sich im zurückliegenden Jahr insgesamt 14 Unternehmen neu für eine direkte Mitgliedschaft im VSM entschieden haben. Zusammen mit unseren Mitgliedsverbänden vertreten wir die Interessen von rund 850 Unternehmen.
Neben den klassischen Lobbying-Aufgaben und vielen unterschiedlichen Dienstleistungsangeboten schätzen viele Mitglieder die zahlreichen Networking-Angebote. Die Parlamentarischen Abende des VSM in Berlin jeweils zu Beginn eines jeden Jahres zählen inzwischen zu den etabliertesten Branchentreffs. Rund 300 Gäste unter Ihnen viele Abgeordnete des Deutschen Bundestages konnten sich schon im Januar 2023 davon überzeugen, dass Bundesminister Dr. Robert Habeck die maritime Industrie aus voller Überzeugung unterstützt. Und er kam nicht allein, sondern brachte gleich das ganze maritime Team im BMWK mit, inklusive des frisch gebackenen Maritimen Koordinators der Bundesregierung Dieter Janecek. Auch für den Parlamentarischen Abend 2024 liegen bereits fast 300 Anmeldungen vor. Wir freuen uns auf unsere Gäste und sind gespannt auf die Ausführungen des Fraktionsvorsitzenden der FDP, Christian Dürr.
Die Arbeit in den rund 25 bestehenden VSM-Gremien, die Teilnahme an den Veranstaltungen der VSM-Akademie und den gemeinsamen Markterkundungs- oder Geschäftsanbahnungsreisen, die Kontakte unter den Mitgliedern auszubauen und zu pflegen ist ein wichtiges Element aktiver Verbandsarbeit. Ein Networking-Highlight der ganz besonderen Art, das nur genau diesem Zweck dient, ist unser Speed-Dating Format Buy Blue, das im September zum inzwischen vierten Mal erfolgreich durchgeführt wurde. Nach einem Begrüßungsabend am Vortag verbringen 100 Teilnehmer den vollen Arbeitstag in intensiven Gesprächen miteinander. So kommen rund 500 organisierte Einzelgespräche zusammen. Zusätzlich werden die Pausen für weitere Kontaktanbahnungen genutzt.
Gemeinsam arbeiten, Dinge bewegen, das ist unser Antrieb – auch wieder für 2024!