PM VSM Jahrespressekonferenz 2025
Mit einem Rekordauftragseingang meldet sich die deutsche Schiffbauindustrie klar zur Wirtschaftswende.
Ein insgesamt erfolgreiches Jahr liegt hinter uns. Unsere Mitgliedsunternehmen berichten von einer hohen Auslastung und gut gefüllten Auftragsbüchern. Mit einem zivilen Auftragseingang von 10,7 Mrd. € im Seeschiffsneubau erreicht die Branche ein neues Allzeithoch. Darüber hinaus läuft auch das Reparaturgeschäft gut, der Marineschiffbau boomt und die hohe Nachfrage im Weltschiffbau sorgt für viele Aufträge in der gesamten Wertschöpfungskette.
Diese erfreuliche Konjunkturlage der maritimen Industrie schafft Handlungsspielräume, die wir mit Entschlossenheit und Tatkraft und im Schulterschluss mit der Politik nutzen wollen. Denn in geopolitisch turbulenten Zeiten zeigt sich wieder klar und deutlich, Schiffbau und Meerestechnik sind unentbehrliche Schlüsselfähigkeiten für jede resiliente Industrienation und Voraussetzung, um aus eigener Kraft maritime Souveränität zu gewährleisten.
Mit rund zwei Dritteln aller zivilen Neubauaufträge erreicht Chinas Dominanz in der maritimen Wirtschaft erdrückende Ausmaße.
Schiffe sind das entscheidende Verkehrsmittel, mit dem internationaler Handel ermöglicht und Versorgungssicherheit gewährleistet wird. Marinestreitkräfte spielen im geopolitischen Kontext eine Schlüsselrolle. Dies wird nahezu tagtäglich insbesondere im Konfliktraum Südchinesisches Meer, aber auch am Horn von Afrika und vielen anderen Orten deutlich. Auch unmittelbar vor unserer Haustür bestehen akute Herausforderungen, z.B. beim Schutz kritischer Infrastruktur auf dem Meer, wie die wiederholten Sabotageakte in der Ostsee belegen. Und auch für eine nachhaltige resiliente Energieversorgung ist die heimische maritime Industrie unerlässlich, denn der Ausbau der Offshore-Windenergie mit Hardware aus China birgt mindestens vergleichbare Risiken, wie die, die für die Mobilfunknetze bereits adressiert werden.
Die Notwendigkeit einer leistungsfähigen Marineschiffbauindustrie ist angesichts der globalen kritischen Sicherheitslage offensichtlich. Gleichzeitig ist jedoch auch die zivile Schiffbauindustrie essenziell, denn nur gemeinsam lässt sich ein innovatives und wettbewerbsfähiges Gesamtcluster sichern.
Für China war der massive Ausbau des Handelsschiffbaus der Schlüssel, um innerhalb eines guten Jahrzehnts die größte Marine der Welt zu bauen. Im zivilen Markt konnte es nicht nur problemlos Produktionstechnik und sonstige maritime Technologie aus dem Ausland anziehen, sondern auch einen wesentlichen Teil der Finanzierung für den Kapazitätsaufbau durch Aufträge westlicher Kunden sicherstellen. Viele der großen Zivilwerften sind parallel im Marineschiffbau aktiv. All das geschah mit Ansage: die zivil-militärische Fusion wurde 2015 erstmals erwähnt und gilt seit spätestens 2017 offiziell als nationale Strategie.
Die USA haben den zivilen Schiffbau über Jahrzehnte vernachlässigt. Ein seit über 100 Jahren geltendes Gesetz, der sog. „Jones Act“, schottet die inländische Schifffahrt und den Schiffbau vollständig vom Weltmarkt ab. Nur die Jones-Act-Flotte darf Verkehre zwischen zwei amerikanischen Häfen durchführen. Ohne den internationalen Wettbewerbsdruck sank die Produktivität der Werften erheblich. Die Produktion eines zivilen Seeschiffs in den USA kostet heute etwa das Drei- bis Vierfache im Vergleich zu Europa. Entsprechend teuer sind die Schifffahrtsdienste und entsprechend klein und überaltert ist die Jones-Act-Flotte, die aktuell keine hundert Seeschiffe umfasst. Das zivile Neubauvolumen in den USA betrug 2024 etwa 64.000 cgt. In Europa bedienen knapp 10.000 Seeschiffe ausschließlich innereuropäische Verkehre. Die Produktion betrug hier rund 2 Mio. cgt.
Das nahezu vollständige Fehlen einer zivilen Schiffbauindustrie in den USA hat auch den Marineschiffbau ineffizient und langsam werden lassen. Dies wird als eine strategisch besonders gefährliche Schwachstelle im systemischen Wettbewerb mit China erachtet.
Diese Einschätzung stützt sich in den USA auf einen breiten politischen Konsens in beiden politischen Lagern. Sowohl Präsident Trumps Exekutivbefehl „Make Shipbuilding Great Again”[1] als auch die Wiedervorlage des “SHIPS for America Act”[2] verdeutlichen, welcher Stellenwert einer leistungsfähigen amerikanischen Schiffbauindustrie beigemessen wird.
Am 12. Mai hat auch Russland ambitionierte Pläne in einem Umfang von 500 Mrd. Rubel (5,5 Mrd. €) bis 2030 zur Stärkung der nationalen Schiffbauindustrie angekündigt.
Staatliche Rahmenbedingungen waren im Schiffbau stets maßgebliche Voraussetzung für die erfolgreiche Entwicklung der jeweiligen nationalen Industrie, dies gilt umso mehr, da internationales Handelsrecht in dieser Branche keinerlei Wirkung entfalten konnte. In Europa wurde Schiffbaupolitik seit Jahrzehnten im Wesentlichen ordnungspolitisch definiert. Der Verlust von fast zwei Dritteln der Schiffbauproduktion in weniger als zwei Jahrzehnten war die Folge.
Der Industrie ist es dennoch in beachtlicher Weise gelungen, wesentliche Fähigkeiten zu erhalten und weiterzuentwickeln. Im zivilen Bereich ist dies entscheidend durch die Fokussierung auf High-End-Märkte, insbesondere Kreuzfahrtschiffe und Superyachten, geglückt. In beiden Marktsegmenten dominieren europäische Hersteller den Weltmarkt. Deutsche Marineschiffbaukapazitäten konnten nur durch erfolgreiche Vermarktung im (befreundeten) Ausland im vorhandenen Umfang gesichert werden.
Die deutsche Politik muss Resillienzfragen stärker in den Fokus nehmen. Klar ist, die vorhandenen Kapazitäten reichen nicht aus, um die maritime Souveränität Deutschlands und Europas zu gewährleisten. Besonders wichtig dabei: bei Forschung, Entwicklung und Innovation dürfen wir nicht nachlassen, im Gegenteil. Verlässliche und schnelle branchenspezifische Instrumente im Bereich Bauzeit- und Schiffsfinanzierung sind für Investitionen und Auftragsgewinnung notwendig. Hier müssen neue Wege gegangen werden! Ebenso müssen die Beschaffungsverfahren der öffentlichen Auftraggeber – zivil wie militärisch – zielfokussiert entschlackt und beschleunigt werden. Wenn, wie kolpotiert bei einzelnen Beschaffungsprojekten, auf der Behörenseite Verfahrenkosten von bis zu 40% des Kaufpreises entstehen, verdeutlicht dies das Einsparpotential. Wir brauchen wieder verstärkten Fokus auf die beste technische Lösung, statt maximale Prüfsicherheit.
Deshalb begrüßen wir den Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung ebenso wie ihre bisherigen Verlautbarungen:
„Wir setzen uns für eine europäische maritime Strategie ein, die die Wettbewerbsfähigkeit des Schiffbaus, der Schiffbauzulieferer und der maritimen Technologien stärkt.“
Gemeinsam mit unseren europäischen Partnern müssen wir eine effektive Strategie auf den Weg bringen, die es der Schiffbauindustrie ermöglicht, umfänglich zu investieren und einen deutlichen Kapazitätsausbau auf den Weg zu bringen, damit europäische Bedarfe durch eigene Fähigkeiten gedeckt werden können. In der Marine. In der nachhaltigen Energieversorgung Offshore. Und für einen signifikanten Teil der innereuropäischen wasserseitigen Verkehre.
-------------------------------
[1] RESTORING AMERICA’S MARITIME DOMINANCE, April 9, 2025 https://www.whitehouse.gov/presidential-actions/2025/04/restoring-americas-maritime-dominance/
[2] Shipbuilding and Harbor Infrastructure for Prosperity and Security (SHIPS) for America Act eingebracht durch die Senatoren Mark Kelly (Demokrat aus Arizona), Todd Young (Republikaner aus Indiana) sowie die Kongressabgeordneten John Garamendi (Demokrat aus Kalifornien) und Trent Kelly (Republikaner aus Mississippi). https://www.congress.gov/bill/118th-congress/house-bill/10493/text